Das sich die Autoindustrie in der Krise befindet, hat nur bedingt etwas mit der Wirtschaftskrise zu tun, auch wenn dies von allen Seiten suggeriert wird.
Automobile als Transportmittel von Körpern haben ja etwas Fossiles an sich nicht nur wegen der fossilen Energien, die sie überfälligerweise immer noch verheizen, sondern weil die Information, die die Körper transportieren und austauschen wollen, immer schon am Ziel ist, wie der Igel vor dem Hasen. Der Körper ist nur noch als Signifikat gedacht, als Unterpfand und Bekräftigung der Zeichen, die ausgetauscht werden sollen. Die Verkehrskrise ist seit der Entdeckung der Lichtgeschwindigkeit immer schon da. Diese Unwirtschaftlichkeit des Verkehrs gilt bereits für den Berufspersonenverkehr – um wieviel mehr für den privaten Verkehr, wo sich all die Hin- und Rückfahrten zu einem Nullsummenspiel addieren, wo der Besuch bei der Oma in Buxtehude sich mit dem beim Onkel in Sachsen-Anhalt in einem Ballett sinnentleerter Bewegungen auf den Vektoren deutscher Autobahnen annulliert.
Doch wie kann dieser gefährliche und unheimliche Verlust der Transzendenz des Verkehrs und der Reise symbolisch präsent gemacht werden? Dies ist offenbar eine Aufgabe der Kunst, wenn man es genau nimmt, eine Aufgabe der Kunst am Bau, in diesem Fall der Kunst des Autobahnbaus. Bisher habe ich mich über Autobahnbau und -baustellen vor allem geärgert – sie erschienen mir als bewußte politisch inszenierte Hemmungen der freien Bewegung freier Bürger (ich bin ADAC Mitglied). Dann habe ich sie mir eine Zeitlang als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gedeutet und hatte Mitleid mit den wenigen Bauarbeitern, die am Rande der Straßen zu sehen waren. Nun wird mir immer klarer, dass das Bundesverkehrsministerium und die entsprechenden Verkehrsplanungsstellen viel mehr im Sinn haben als nur schnöde Restriktion und soziales Gepampere. Es geht nicht um Politik und Materialismus – es geht um ganz große Kunst. So bin ich vor wenigen Tagen auf dem Weg von Berlin nach Hamburg an der Autobahnskulptur „Lost Highway“, einem anonymen Gesamtkunstwerk, vorbeigefahren. Dem Verkehrsminister und seinen Kollegen geht es nämlich nicht mehr um bürgerliche Individualkunst, sondern um die reine Form und die Überwindung des Individuums, deshalb sieht man auch keine Bauarbeiter. Ich bin vor Ehrfurcht fast erstarrt. Aber ich will nicht mit der Deutung und meinen kleinbürgerlichen Gefühlen anfangen, sondern die Skulptur, die dort entstanden ist, erst einmal beschreiben:
Auf einer Strecke von ca. 20 oder waren es 30 Kilometern (Raum und Zeit schienen sich hier aufzulösen) wurde die normalerweise 2×2-spurige Autobahn auf jeweils eine Hin- und eine Rückspur verengt. In der Mitte blieben nun 2 vollkommen leere Spuren übrig. Diese wurden von stabilen metallenen Leitplanken eingefaßt und gerahmt. Anzeichen menschlicher Tätigkeit waren nicht sichtbar. An den Rändern und am Fuße der Metallbanden wuchsen bereits Gräser und Löwenzahn. Offensichtlich ist die Skulptur auf Dauer und Ewigkeit (welch ein grosses Wort) angelegt. Es entsteht ein erhabenes Gefühl, wenn man im Schneckentempo an dieser leeren Fläche vorbeifährt, vor und hinter sich die kilometerlangen Kolonnen anderer Ausstellungsbesucher und kunstbegeisterter Autofahrer. Jetzt bin ich schon wieder in kleinbürgerliche Gefühlsduselei abgeglitten aber egal – jedenfalls bringt diese subtil in die Landschaft eingebettete Skulptur „Lost Highway“ den unwiederbringlichen Verlust der Reise und das Ende des Verkehrs zum Ausdruck und hat mehr Klasse als alle Documentas der letzten 20 Jahre. Das entschuldigt Tausende von Vorversuchen aber auch Nachahmern in Form von Dauerbaustellen, die dann nach nur wenigen Jahren doch abgebrochen werden. Auch wenn man einen Künstler im eigentlichen Sinne dabei nicht ausmachen kann, möchte ich mich für diese Erfahrung beim Mäzen dieses Kunstprojektes, Herrn Tiefensee, symbolisch und persönlich bedanken.
Ey Mann, wenn sich hier nicht bald mal was tut, dann werde ich mein abo kündigen;-)